Was ist die Lawinengefahrenstufe?

26.06.2023

Die prominenteste Information im Lawinenlagebericht ist die (Lawinen-) Gefahrenstufe. Sie sind in eine fünfstufige Skala unterteilt und und geben den Ausprägungsgrad der Lawinengefahr an. Parameter für die Ausgabe der Gefahrenstufen sind die Stabilität der Schneedecke, die Verteilung der Gefahrenstellen sowie die Größe der zu erwartenden Lawinen. Diese Angaben beziehen sich jeweils auf ein bestimmtes Gebiet und einen definierten Zeitraum.

Die fünf Lawinengefahrenstufen werden gemäß folgender Einteilung angegeben: 5-Sehr Groß, 4-Groß, 3-Erheblich, 2-Mäßig, 1-Gering.
Die meisten Lawinenwarndienste haben sich darauf geeinigt, dass das Gebiet, für welches eine Gefahrenstufe ausgegeben wird, mindestens 100 Quadratmeter groß sein sollte. Viele Lawinenwarndienste erstellen diese Einschätzung als Prognose für den folgenden Tag, man spricht deshalb von Lawinenvorhersage und nicht mehr von Lawinenlageberichten.

Eine Gefahrenstufe gilt immer für eine gesamte Region und kann daher die Besonderheiten eines bestimmten Einzelhanges nicht abbilden. Zudem ist die in der Lawinenvorhersage beschriebene Gefahrenstufe zum größten Teil eine Prognose und sollte vor Ort immer überprüft werden.

Auch wenn die europäischen Lawinenwarndienste die Lawinengefahr anhand fünf Gefahrenstufen beschreiben, ist es wichtig zu wissen, dass sich in der Natur die Lawinengefahr kontinuierlich ändert (siehe Abbildung 1). Die Kurve in Abbildung 1 (vgl. Harvey et al., 2012) zeigt den möglichen Verlauf der Lawinengefahr, die drei Punkte beschreiben verschiedene Situationen in einem beliebigen Winter:

Punkt A könnte klassischerweise die Situation direkt nach dem letzten massiven Schneefall mit viel Wind abbilden: Etliche Selbstauslösungen von Lawinen und andere Alarmzeichen, hohe Auslösebereitschaft durch Wintersportler*innen und sogar Fernauslösungen sind denkbar. Die Gefahr ist im Gelände gut erkennbar und häufig weit verbreitet.

Bei Punkt B erkennen wir keine spontane Lawinenaktivität, auch Alarmzeichen sind rar und oft sind auch nur gewisse Geländeteile (z. B. Mulden und Rinnen) betroffen.

Für Wintersportler*innen ist die Lawinengefahr für Punkt A und B sehr unterschiedlich, die Gefahrenstufe ist aber die gleiche. Landläufig hat es sich eingebürgert, bei einer Situation wie bei Punkt A von einem „gespannten Dreier“-Erheblich zu sprechen bzw. einem 3+ oder man liest in der Schlagzeile des Lawinenlageberichts von einer „heiklen Situation für den Wintersportler“. Mit diesen Beschreibungen versuchen die Lawinenwarner*innen, die Gefahrenstufe an die vorhandenen Unterschiede der Lawinengefahr innerhalb der Gefahrenstufe 3-Erheblich anzupassen.

Anders bei Punkt C und B: Bei beiden herrscht faktisch mehr oder weniger die gleiche Lawinengefahr, die Gefahrenstufe unterscheidet sich aber um eine Stufe, was wesentliche Folgen für die Tourenplanung hat. Punkt C bzw. B stehen stellvertretend für die langwierigen Perioden mit Altschneeproblemen: Wettertechnisch passiert schon länger nichts Dramatisches mehr, es gibt zwar eine schlummernde Schwachschicht irgendwo in der Schneedecke, aber sowohl natürliche Auslösungen als auch Auslösungen durch Wintersportler*innen sind kaum bis gar nicht zu beobachten. Dann auf einmal eine Lawinenauslösung durch Personenbeteiligung mit dramatisch großen Auswirkungen, riesige Lawinen und häufig Unfälle mit schwerwiegenden Folgen. Man spricht von einer Situation mit „low probability but high consequences“ (mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber enormen Konsequenzen).

Damit die Lawinenwarner*innen die Einschätzung der Gefahrenstufe einheitlich vornehmen können, benötigt man

Die drei Parameter zur Einschätzung der Gefahrenstufe wurden durch Vertreter*innen der europäischen Lawinenwarndienste definiert und anhand von Beispielen verdeutlicht (siehe auch https://www.avalanches.org/standards/snowpack-stability-frequency/).

Sehr schwache Schneedeckenstabilität haben wir v. a. in Perioden, in denen Lawinen sich spontan, also ohne Zutun des Menschen, lösen. Viele Stellen mit einer schwachen Schneedecke finden wir, wenn über 20 Prozent des potenziellen Lawinengeländes mit Anzeichen verknüpft werden können, die auf diese schwache Schneedecke hinweisen. Das können Informationen aus Beobachtungen, Webcams, Schneedeckenmodellen oder Stabilitätstests sein.

Auch die Lawinengrößen sind definiert, sodass jeder*jede Lawinenwarner*in in Europa in einer einheitlichen Sprache kommuniziert und beurteilen kann, welche Lawinengröße für den kommenden Tag erwartet wird. Die größte Anzahl an Stellen mit der schwächsten Schneedecke und das daraus resultierende Potenzial für die Lawinengröße bestimmt dann die Gefahrenstufe.

Damit diese Einschätzung nicht willkürlich ist und in Europa akkordiert abläuft, wurde die EAWS-Matrix eingeführt. In dieser Matrix führt jede Kombination der drei oben genannten Parameter zu einer Gefahrenstufe. Bei manchen Feldern gibt es noch eine weitere Zahl in Klammern. In diesen Feldern waren sich die Lawinenprognostiker*innen Europas nicht ganz einig, welche Gefahrenstufe zu vergeben ist. Eine größere Minderheit hatte noch einen weiteren Vorschlag.

EAWS-Matrix
EAWS-Matrix © snow institute

Die Prognostiker*innen bewerten zunächst die Schneedeckenstabilität und wie häufig eine bestimmte Klasse der Schneedeckenstabilität (sehr schlecht, schlecht oder mittelmäßig) gegeben ist, indem sie eine Spalte und eine Zeile (viele, einige oder wenige) wählen, die die Kombination aus Schneedeckenstabilität und Häufigkeitsverteilung für ein bestimmtes Lawinenproblem am besten beschreibt. Schließlich schätzen die Prognostiker*innen ein, wie groß Lawinen werden können, und wählen das entsprechende Feld innerhalb der aktuellen Stabilitätsspalte und der Häufigkeitszeile aus. 

Titelbild: © snow institute | LWD Tirol

Lehrmaterialien zum Thema: