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Standardmaßnahmen beim Freeriden

26.06.2023

Standardmaßnahmen, also allgemeingültige, wirksame und anerkannte Handlungsempfehlungen zur Risikominderung, werden immer (!) – unabhängig von der Art der Gruppe, dem Gelände oder den aktuellen Verhältnissen – angewendet. Ziel ist es, durch wenige, aber relevante Maßnahmen das Risiko bei jeder alpinen Unternehmung auf das gewünschte Maß zu reduzieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen schnellen Run am Vormittag oder eine mehrtägige Hüttendurchquerung handelt. In beiden Fällen wird vorab im Rahmen einer sauberen Tourenplanung das Risiko identifiziert und darauf mit entsprechenden Maßnahmen – sprich der finalen Tourenwahl, der darauf abgestimmten Ausrüstung etc. – entsprechend reagiert.

In diesem Beitrag geht es um:

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Standardmaßnahmen in der Planung

Idealerweise erfolgt die Tourenplanung entspannt am Vortag/-abend. Gerade beim Freeriden kann mit etwas Routine und beim Unterwegssein mit einer bekannten Freundesgruppe diese Planung aber auch am Geländetag durchgeführt werden. In jedem Fall müssen dann im Gelände die aktuellen Verhältnisse mit jenen in der Planungsphase laufend abgeglichen und darauf auch entsprechend reagiert werden.

Die Planung eines Freeridetags wird im Idealfall mit der gesamten Gruppe durchgeführt. Alle Beteiligten sollen alle Informationen zum geplanten Vorhaben kennen und mit dem gleichen Wissen in den (nächsten) Tag starten.

Lawinenlage und Wetter:

Das gemeinsame Studieren der Lawinenprognose und auch des Wetterberichts zählt ebenfalls zu den Routinen, die es vor einem Tag am Berg zu erledigen gilt. Vor allem in Bezug auf die Lawinenprognose gilt: Diese ist nicht nur zu lesen, sondern auch zu verstehen! Lawinenlage und Wetter tragen in der Regel dazu bei, sich auf gemeinsame Erwartungen und Ziele zu einigen. Dabei sollten folgende Parameter berücksichtigt werden und in die Planung einfließen:

  • Lawinenlagebericht: Lawinenprobleme, Gefahrenstellen, Gefahrenstufe etc.
  • Wetter: Sicht, Wind, Temperatur, Niederschlag, Wetterentwicklung

Das Wetter und die Lawinensituation kann man nicht ändern – seine Route und das Ziel dagegen sehr wohl!

Gruppe:

Bei der Gruppe sind wir nur dann flexibel, wenn wir uns aussuchen können, wer mitkommt. Ist die Gruppe vorgegeben, gilt es, sich nach der schwächsten Person zu richten und diese weder technisch noch konditionell oder psychisch zu überfordern.

Wer geht mit? Gruppengröße, Können, Kondition, Erwartungen, Ausrüstung

Ein sehr wichtiger Aspekt sind die Erwartungen der einzelnen Gruppenteilnehmer*innen. Geht es darum, eine „Big Line“ zu fahren, oder einfach nur einen gemütlichen Tag im Schnee zu verbringen? Schafft man es innerhalb der Gruppe – trotz verschiedener Mindsets – sich so zu verständigen, dass am Ende des Tages jede*r zufrieden ist? Nur mit einem solchen vorab klar formulierten Ziel wissen alle, was auf sie zukommt, und es können später im Gelände gute Entscheidungen getroffen werden.

Gelände/Route:

Beim Ziel besteht die größte Flexibilität, hier kann man sich an die aktuellen Verhältnisse und die Gruppenteilnehmer*innen ideal anpassen. Werden Touren im Backcountry geplant oder neue Freeridevarianten in Betracht gezogen, so kommt man um eine detaillierte Planung der Route und eines Zeitplans nicht herum. Die Routenwahl muss unter Berücksichtigung der Länge, Steilheit, Schwierigkeiten, Gefahrenstellen etc. durchgedacht werden.

Für die Routenplanung im Gelände gibt es mittlerweile eine Reihe von Tools. Sehr gute digitale Planungsportale sind beispielsweise die Karten von Alpenvereinaktiv, Fatmap, Whiterisk (CH) und Komoot. Zahlreiche Layer (Hangneigung, Lawinengelände, Exposition, Satellitenaufnahmen etc.) ermöglichen mit diesen Werkzeugen eine durchdachte Vorbereitung. In Kombination mit dem Smartphone, das auch im Gelände gute Orientierungsdienste erweist, ist das Arbeiten mit elektronischen Karten mittlerweile zum Standard geworden und den Karten in Papierform überlegen.

Bei der allgemeinen Beurteilung des Geländes hilft uns die ATES-Klassifizierung (avalanche terrain exposure scale), um unabhängig von den aktuellen Verhältnissen das Gefahrenpotenzial aufgrund des Geländes abzuschätzen.

Ausrüstung:

Auch ein Gespräch bezüglich der notwendigen Ausrüstung gehört zur Planung dazu. Die Standard-Notfallausrüstung (Mobiltelefon, Erste-Hilfe-Set, Biwaksack, Stirnlampe, Reparaturzeug) ist ebenso wie die Standard-Lawinen-Notfallausrüstung (LVS, Schaufel, Sonde) mit dabei, entsprechend ergänzt durch die persönliche Schutzausrüstung (Helm, Protektoren, Airbag …) und eventuell eine für die Tour notwendige spezielle Zusatzausrüstung (Steigfelle, Gurt, Seil, Steigeisen …). Die notwendige Ausrüstung muss an alle Gruppenmitglieder kommuniziert werden. Gegebenenfalls wird ausgemacht/aufgeteilt, wer was mitnimmt (Seil, Sat-Messenger, Funk …).

Verfügt ein Gruppenmitglied nicht über die komplette notwendige Ausrüstung bzw. kann damit nicht umgehen, muss das fehlende Material organisiert werden, die betreffende Person kann nicht mitkommen oder es wird eine Tour zu einem anderen Ziel geplant.

Je nach geplantem Vorhaben, der Wetter-/Lawinensituation, der Gebietskenntnis und der Gruppe dauert diese Planung mehr oder weniger lang – auf alle Fälle sind alle Parameter innerhalb von ca. 15 Minuten abfragbar.

02

Standardmaßnahmen im Gelände

Im Vergleich zu den Standardmaßnahmen in der Planung haben die Standardmaßnahmen im Gelände noch mehr Gewicht, da sie unser Verhalten bzw. dessen Konsequenzen direkt beeinflussen. Sie beginnen bereits am Ausgangspunkt, im Normalfall an der Talstation oder der Hütte.

Standardmaßnahmen im Gelände © snow institute
Standardmaßnahmen im Gelände © snow institute

Ausrüstungscheck:

Je nach Gruppe und Erfahrung wird mehr oder weniger ausführlich/eigenverantwortlich die notwendige Ausrüstung durchgegangen. Ist es überraschend kalt oder windig, lohnt es sich zu überprüfen, ob jedes Gruppenmitglied genügend warme Bekleidung eingepackt hat.

Ebenso versichert man sich, ob die Standard-Notfallausrüstung mitgeführt wird und alle die notwendige Zusatzausrüstung (Harscheisen, Felle etc.) eingepackt haben. Hat jemand beispielsweise sein Mobiltelefon vergessen, dann wird das kein großes Malheur sein, aber jede*r in der Gruppe sollte darüber Bescheid wissen, um in einer Notsituation entsprechend agieren zu können. Was jedes Gruppenmitglied dabeihaben muss, ist die Standard-Lawinen-Notfallausrüstung – LSV, Sonde, Schaufel –, wobei das LVS jedes Gruppenmitglieds vor dem Aufbruch immer auf SENDEN und SUCHEN kontrolliert wird.

LVS-Check:

Der LVS-Check ist Standard und wird am Beginn des Tages durchgeführt. Standard ist ein großer LVS-Test, also die Sende- und Empfangskontrolle jedes Gerätes. 

Wichtig: Der Check sollte nicht erst am Berg gemacht werden, da man ansonsten auf leere Batterien oder Defekte nicht mehr reagieren kann, ohne viel Zeit zu verlieren.

Ein weiterer Check nach der Mittagspause hat schon so manches ausgeschaltete LVS enttarnt. Idealerweise wird der LVS-Check im Gruppenmodus und mit genügend Abstand (mindestens 2 Meter) zwischen den Teilnehmer*innen einer Gruppe durchgeführt. Am Ende muss klar sein, dass alle ein sendendes LVS-Gerät am Körper tragen.

Abstand:

Bei der Abfahrt werden auch im einfachen Gelände oder auf Forstwegen standardmäßig Abstände von ehrlichen rund 30 m eingehalten. Besser ist es – unabhängig von der Steilheit des Geländes –, wann immer möglich, einzeln von einem sicheren Sammelpunkt zum nächsten zu fahren. So hat man die Gruppe im Blick, jede*r kann ihr*sein Tempo fahren und man kann auch gut fotografieren etc. Ab einer Hangneigung von ca. 35 Grad wird jeder Hang einzeln befahren.

Steigt man mit den Fellen auf, hält man ab ca. 30 Grad (Spitzkehren-Gelände) ca. 10 m Abstand zueinander. Auch wenn man zu Fuß hochstapft, sind im steilen Gelände diese Abstände einzuhalten.

Exponiertes oder absturzgefährdetes Gelände (z. B. Rinnen, bekannter Lawinenstrich) wird in Aufstieg und Abfahrt einzeln gequert/befahren.

Sammelpunkte:

Das Identifizieren von guten Sammelpunkten ist wesentlich schwieriger als das Einhalten von Abständen. Es zählt aber ebenfalls zu den wichtigen Standardmaßnahmen.

Ein guter Sammelpunkt erfüllt vier Aufgaben:

  1. Der Platz ist lawinensicher. Er ist also vom direkten Hang über der Gruppe und auch von angrenzenden Hängen weit genug entfernt.
  2. Es besteht keine Absturzgefahr.
  3. Die weitere Abfahrt ist ebenso wie der letzte Sammelpunkt gut einsehbar – so kann auf Stürze oder andere Probleme in der Gruppe reagiert werden.
  4. Der weitere Routenverlauf ist einsehbar. Das heißt, vom Sammelpunkt aus ist die Beurteilung des nächsten Hangs möglich und entsprechende Maßnahmen können getroffen werden.

Häufig kommt es vor, dass das Gelände keine optimalen Sammelpunkte zulässt. Gute Kommunikation ist dann umso wichtiger. Gerade im Variantenbereich kann der Einsatz von Funkgeräten (PMR) sehr hilfreich sein. Eine andere Möglichkeit bietet das Platzieren eines „Dirigenten“, der auf halber Strecke im Hang steht und die restliche Gruppe einzeln oder im großen Abstand per Stockzeichen von gutem Sammelpunkt zu gutem Sammelpunkt leitet.

Spurfahren und Buddy-System:

Bei schlechter Sicht oder schwierigen Schneeverhältnissen sowie beim Befahren von Waldabschnitten ist das Einhalten von Abständen häufig kontraproduktiv. Dort empfiehlt es sich, entweder direkt in der Spur des Vordermannes*der Vorderfrau zu fahren oder – noch besser – ein Buddy-System einzurichten. Buddys bleiben zusammen, passen aufeinander auf und sind im Ernstfall schnell zur Stelle.

Buddys bieten sich bei einer engagierten Gruppe an, deren Mitglieder auch längere Hänge ohne Pausen durchfahren und die beste Linie selbst beurteilen können. Jede*r soll so schnell und im Korridor fahren, wie und wo sie*er möchte – aber nicht allein, sondern zusammen mit ihrem*seinem Buddy. Die Buddys schauen aufeinander, wissen, wo sich der anderer befindet und ob alles okay ist. So werden aus einer schwerfälligen Achter-Gruppe vier schlanke Buddy-Teams, die z. B. auf dem Lift ausmachen, einem bestimmten Korridor folgend bis zur Talstation abzufahren und sich dort – nacheinander eintrudelnd – wieder zu treffen. 

Nachbesprechung:

Erfahrung kann man nur sammeln, wenn man Fehler macht, aus denen man lernen kann. Ohne eine offene Feedbackrunde ist das nicht möglich. Wenn man Glück gehabt hat, etwas schiefgelaufen ist, man sich nicht gut gefühlt hat oder bei einem Gruppenmitglied Fragen offen sind, zeugt es von gutem Stil, diese nach dem Run oder am Ende des Tages zu besprechen. Eine kurze, klare und offene Feedbackrunde ist der Schlüssel, sich schnell zu einer*einem guten und kompetenten Freerider*in zu entwickeln.

Titelbild: © snow institute | LOLA

Lehrmaterialien zum Thema: